Das Land ernährt die Stadt. Das ist die selbstverständlichste Tatsache der Welt. Aber es erzählt auch von einer unheimlichen Abhängigkeit der Stadt, die sich wieder nur mit nackter Gewalt, hauptsächlich mit Militär ? so lehrt es uns die Geschichte, gegen diese Schieflage der Macht wehren konnte. Stadt und Land charakterisieren eine grundsätzliche Dialektik der Ackerbaugesellschaften seit tausenden von Jahren, ein Leben spendendes Miteinander und ein leidvolles bis grausliches Gegeneinander. (Das Auf und Ab der Geschichte und ihrer Ideologien spiegelt sich darin wider: Die antiken Hungersnöte, der ?Pöbel von Rom?, die Blüte des mittelalterlichen Bauernstandes, die Bauernkriege, die Leibeigenschaft, die befreiten Bauern bis hin zur Blut- und Bodenideologie des 3. Reiches und gleichzeitig das Aussaugen des Landes mit Soldaten und der Missbrauch für die verlorene Erzeugungsschlacht des zweiten Weltkrieges.)

Das Land wurde ausgeräumt und mit Butterbergen, Milchseen und Getreideüberschüssen überschwemmt. Der Kunstdünger staubte über die Wiesen, und Spritzen zerstäubten großflächig chemische Gifte über die Äcker. Die Preise verfielen, die Förderungen stiegen, die Bauern verschwanden fast naturgesetzlich. Es geht weiter?

Heute stehen wir mitten in einem neuen Industriezeitalter mit einer biotechnologischen Revolution. Die Stadt, das Zentrum und die Industrie versuchen das Land mit technologischen Waffen neu zu kolonisieren. ? Die Gentechnik will über das Land herfallen. Anfänglich wollte man sogar Kühe mit gentechnischem Wachstumshormon hochdopen. Das war aber gar nicht notwendig, denn die modernen Kühe fallen auch in konventioneller Weise schon fast von alleine um, ja sind sogar wahnsinnig geworden. Gentechnisch veränderte Pflanzen sollen überall freigesetzt werden. Sie werden sich unwiederbringlich überall im Land einschleichen, ausbreiten und alle Ernten verschmutzen. Widerstand ist angesagt ? ein Kulturkampf neuen Zuschnitts.

Ca. 850 Millionen Menschen hungern und leiden an Unterernährung, davon leben ca. 75 % am Land. Das Land lebt im Überfluss und es hungert. Und trotzdem, obwohl das Land sich bereits im ?Supermarkt? befindet, ernährt das Land die Stadt?.und noch vieles mehr sollte uns Gedanken machen.

Hoppichler, Josef, geb. 1958 und aufgewachsen auf einem Tiroler Bergbauernhof;
Studium der Landwirtschaft / Agrarökonomie; seit 1985 Mitarbeiter an der Bundesanstalt für Bergbauernfragen und seit 1995 Lehrbeauftragter für ?Ökonomie und Politik der natürlichen Ressourcen? an der Universität für Bodenkultur, Wien. Forschungsschwerpunkte: Technikfolgenabschätzung, insbesondere bezüglich der Auswirkungen der Gen- und Biotechnologie auf die Landwirtschaft; Nachhaltigkeit und wirtschaftliche Aspekte der biologischen Vielfalt, sozioökonomische Fragen der Kulturlandschaft;
1997/98: Sachverständiger bei der parlamentarischen Beratung des österreichischen Gentechnik-Volksbegehrens; seit 1998 Beschäftigung mit Konzepten für GVO- / gentechnikfreie Gebieten; seit 1999 Vertreter Österreichs bei der OECD ? Arbeitsgruppe über ökonomische Aspekte der Biodiversität; seit 2005 im Experten-Panel des EU-Parlaments zu gentechnisch veränderten Organismen. Und denkt neuerdings auch über internationale Agrarmärkte und Hunger nach.

Josef Hoppichler, Kulturwanderung Dienstag
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